Allmachtsfantasien: Ein kurzer Höhenflug über die glitzernden Abgründe der Egosphäre

16. Juli 2025 von Tatjana Lackner, MBA

In einer Welt voller Influencer, die sich für Halbgötter halten, wird Größenwahn zur Währung und Bescheidenheit zur Schwäche erklärt. Wir leben im Zeitalter der Selbstvergötterung powered by Likes, getarnt als Vision. 

Gott ist tot, sagte Nietzsche. Instagram hat übernommen. Die modernen Allmachtsfantasien? Sie tragen Filter, haben eine Kommentarspalte und machen Selfies auf Privatjets, die sie nie bezahlt haben. 

Beispiel eins: Der Biohacker

Er schläft im Kryo-Bett, trinkt Molekularwasser und vergleicht seine Herzfrequenz wie andere Leute ihre Likes. Ziel: 120 Jahre alt werden und dabei aussehen wie 34. Der Körper ist Tempel, Labor und Brandingfläche in einem. Ein Gott, der sich selbst erschaffen will. 

Beispiel zwei: Der Startup-Messias

We are changing the world sagt er, während er eine neue App für Essenslieferung in Innenstädten launcht. Er spricht in Pitches, lebt in Decks und glaubt fest daran, dass KPI > Menschlichkeit. Scheitern ist nur eine Phase. Gefühle sind Skalierungshindernisse. 

Beispiel drei: Die Selbstoptimierungs-Göttin

Sie meditiert bei Vollmond, verkauft Online-Kurse rund um High Vibes Only und sieht in jeder Kündigung ein kosmisches Zeichen für ihr wahres Ich. Spiritualität wird zum Geschäftsmodell, das Universum zur Kundendienstabteilung. 

Und natürlich: Der politische Micro-Influencer

8.000 Follower, aber eine Meinung zu allem: Moralisch überhöht, argumentativ unterbelichtet. Seine Allmacht: Canceln, blockieren, markieren. Wer widerspricht, wird gelöscht, wie früher nur Sünden in der Beichte. 

All diese kleinen Allmachtsfantasien sind Ausdruck eines kollektiven Kontrollwahns. Wir wollen Schöpfer sein, aber ohne Schöpfung. Viel Selbstdarstellung, wenig Substanz. 

Dabei sind Allmachtsfantasien keine psychische Störung, sie sind Karrierebooster. In gewissen Branchen gehören sie nicht nur zum guten Ton, sondern zur Grundausstattung. Wer sich nicht für unersetzlich hält, wird ersetzt: 

@Investmentbanking: Hier wird nicht gearbeitet. Hier wird die Welt gehebelt. Wenn Du mit einer Excel-Tabelle mehr Geld verschieben kannst als ein kleines Land in einem Jahr verdient, brauchst Du keine Bodenhaftung. 
Beispiel: Der 27-jährige Vice President, der 18-Stunden-Tage macht und glaubt, seine PowerPoint könne geopolitische Krisen lösen. 

@Film & Werbung: Kreativdirektoren mit Sonnenbrillen in dunklen Räumen. Regisseure, die Gott spielen wollen, nur mit schlechterem Haarschnitt. 
Beispiel: Der Werber, der sein neues Claim-Konzept für revolutionär hält, obwohl er einfach nur: Natürlich. Nachhaltig. Nah. auf ein Shampoo geschrieben hat. 

@Kreative Kurator mit Gottkomplex: Er hängt schiefe Fotos in weiße Räume und nennt es Diskurs. Sein Instagram ist eine Litanei aus Buzzwords: dekolonial, non-binär, performativ, interventionistisch. Wenn Du ihn kritisierst, nennt er es hegemoniale Gewalt. Er will die Welt verändern, aber nur, solange sein Name auf dem Katalogcover steht. 

@Sozialarbeiter mit Erlöserkomplex: Viele wollten die Welt retten, landeten aber im Bezirksjugendamt. Jetzt verteilen sie Fördergelder wie Almosen und entscheidet mit einem süßen Lächeln, wer Teilhabe verdient und wer nicht. 

Ich sehe Potenzial in Dir, klingt wie Hilfe, ist aber oft nur ein getarntes Ultimatum: Entweder Du wirst, was ich mir vorstelle oder Du bleibst ein Problemfall. Macht im Namen des Guten ist die gefährlichste von allen. 

@Die Diversity-Beauftragte mit einem Zepter aus Schuldgefühlen: Sie regiert mit dem Schwert der Moral und dem Schild des Diskurses. Sie hört nie zu, sie moderiert Macht: Als weiße cis-Person solltest  Du vielleicht kurz  Deine Stimme runterdrehen? So klingt Macht heute: nett verpackt, aber messerscharf. 

@Medizin, besonders Chefärzte: Weißer Kittel, schwarzer Humor, goldene Selbstüberschätzung. Der OP-Saal als Thronsaal. 
Beispiel: Der Chefarzt, der seine Visite wie ein römischer Kaiser abhält: Nickt, schweigt, entscheidet über Leben, Tod und Kaffeepause. 

@Universitäten: Intellekt als Droge. Professuren als Pfründe des unantastbaren Egos. 
Beispiel: Der Soziologie-Professor, der seine Fußnoten für wichtiger hält als Verfassungen ganzer Staaten. 

@Tech-Gründer & schon wieder Start-ups: Sie kommen mit Hoodie und Heilsversprechen. Disruption ist ihre Religion, Skalierung ihr Gebet. 
Beispiel: Der 24-jährige Gründer, der mit einer App für Hunde-Smoothies behauptet: Die Welt zu verändern. 

@Fernsehen & Medien: Moderatoren, die sich für Orakel halten. Redaktionsleiter, die lieber inszenieren als informieren. 
Beispiel: Die Nachrichtensprecherin, die sich vor dem Spiegel Zitate von Churchill zuflüstert, bevor sie den Wetterbericht verliest. 

@Politik: Mikrofone multiplizieren Machtfantasien. Ein Titel, ein Amt und schon fliegt das Ego in der Business-Class. 
Beispiel: Der Landrat, der glaubt, seine Anordnung zum Taubenfütterungsverbot sei ein historischer Beitrag zur Zivilisation. 

Fazit: Allmachtsfantasien sind die Währung vieler Branchen. Der neue Tyrann trägt Sneaker, lächelt viel und hat Gender Studies im Nebenfach gemacht. Er will nicht herrschen. Er will recht haben. Und das ist viel gefährlicher. Denn der Diktator von heute ist überzeugt, dass er Dein Bestes will. In einer Welt, die Status liebt und Selbstzweifel verachtet, ist Größenwahn oft nur eine Karrierestrategie mit schlecht gestochenem Tattoo. Du wirst nicht allmächtig, weil Du genial bist, sondern weil niemand im Raum widerspricht, wenn Du etwas behauptest. 

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